Jedes Ostern fordert ein neues JA zum Leben - die Predigt aus der Osternacht
Von Pfarrer Markus Schmidt
"Steine aus dem Weg räumen!" Das ist eine Redensart, die wir dann gebrauchen, wenn schwierige Probleme, wenn ernsthafte Situationen gelöst werden müssen, kurzum: wenn wir uns befreien wollen von körperlicher oder seelischer Last. Und manchmal ist die Last so schwer, dass es jemanden braucht, der mir die Steine aus dem Weg räumt, weil ich es aus eigener Kraft nicht schaffe. Ich muss darauf vertrauen, dass es einen gibt, der stärker ist.
Ein schwerer Gang! Zum Grab eines lieben Menschen gehen zu müssen oder zu wollen, mit dessen Tod uns alles genommen scheint, mit dessen Tod Träume und Hoffnungen zerbrochen sind, nach dessen Tod durch Krankheit, oder nach einem plötzlichen Unglück uns der Boden unter den Füßen entzogen wurde. Unser Leben lehrt, dass sich einmal Zerbrochenes nie wieder nahtlos zusammenfügen lässt.
Der Stein der Trauer lastet zunächst schwer auf den Frauen, als sie beim üblichen Friedhofsbesuch in der Morgendämmerung nach dem Sabbat zum Grab kommen.
Der frühere Limburger Bischof Franz Kamphaus bringt das - prägnant wie immer, finde ich, auf den Punkt: „Die Grenze zwischen Tod und Leben ist hart wie der Stein, der vor dem Grab liegt. Da läuft sich alle Geschäftigkeit tot. Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen, das wissen wir. Wir können uns nicht selbst aus dem Abgrund des Todes herausholen, durch keine Macht der Welt. Die Vollendung unseres Lebens ist weder das Ergebnis einer kontinuierlichen Evolution der irdischen Verhältnisse noch unsere Erfindung oder äußerste Fortschrittstat. Gott hat sie sich selbst vorbehalten. Er teilt uns nicht etwas über das ewige Leben mit, er teilt sich selber mit in Jesus Christus. Gott holt uns aus dem Tod heraus, indem sein Sohn solidarisch an unserem Leben und an unserem Tod teilnimmt. Nun hat es der Tod mit Gott zu tun. Ihm muss er das letzte Wort lassen. Jesus Christus ist der Tod des Todes.“
Und im Tod des Todes siegt das Leben. Wer das glauben kann und will, liebe Glaubensschwestern und -brüder, dem öffnet sich das neue Leben. Darum fordert jedes Ostern ein neues JA!
- Ein neues JA zum Leben mit Jesus an der Seite, das das Kreuz nicht verschweigt.
- Ein neues JA zum Kreuz, das vom Leben spricht, weil es die Höhen und Tiefen in der Familie und in der Gemeinschaft bis zum Tod begleitet.
- Ein neues JA zum Tod, das sich auf den verlässt, der den Tod durch Gott in der Auferstehung überwunden hat.
- Ein neues JA zum Glauben an die Auferstehung, der die Hoffnung auf das ewige Leben nährt.
Und warum? Weil Jesu Worte und Taten lebendig sind und bleiben. Es sind nicht die Worte und Taten eines Toten, sondern von einem, der unter uns, mit uns und durch uns lebt. Ihn als Lebenden bekräftigen wir in der österlichen Tauferneuerung.
Wir brauchen die Zusage eines Engels: Erschreckt nicht! Es ist alles wahr, was er euch gesagt hat, darum macht euch auf den Weg, geht nach Galiläa.
Die kleine Gruppe der Frauen, die vor dem Tod nicht flüchten und die dem Grab treu bleiben, durch sie werden unsere Augen geöffnet für ein neues Sehen. Mit ihnen können wir weg vom Grab. Können dorthin, wo das neue Leben beginnt, in Galiläa. Dort wo alles begonnen hat. Eine Botschaft, die eine neue Qualität bekommt, weil sie durch das Leben und Sterben bis zum Letzten ging.
Sie werden dieses Jahr ein Osterbild bekommen, in dem die Farben Blau und Gelb eine entscheidende Rolle spielen – und ebenso das aus ihrer Mischung resultierende Grün. Grün ist die Farbe des Lebens, und doch trägt auch dieses Bild ein JA zum Kreuz in sich. Denn das dunkle Kreuz im unteren Bilddrittel wächst aus einem Grün hervor, das offenbar symbolisch für die Lebensmacht steht, die den Tod überwindet. Nicht aus eigener Kraft allein, sondern weil es tief verwurzelt ist in diesem Grün des Lebens.
Mich erinnert das zugleich an das unerschütterliche Gottesvertrauen, das Hiob zum Ausdruck bringt, die Symbolfigur des leidenden Gerechten, die uns die gesamte Fastenzeit begleitet hat: „Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt.“ Dieses Vertrauen in Gott trotz aller Klage ist der Grund dafür, dass Gott Hiob schließlich alle Steine aus dem Weg räumt – und es ist das gleiche unerschütterliche Vertrauen, mit dem Jesus am Kreuz sein Leben in die Hände Gottes legt, bis dieser am dritten Tag den Stein vor dem Grab seiner Macht beraubt und den Weg in ein neues, unzerstörbares Leben frei macht.
- Die Texte der Predigtreihe zu "Hiob" in der Fastenzeit 2024 hier zum Download
Jesus Christus, der Auferstandene, ermutigt uns, das Leben zu wagen! Gegen alles Todesmächte aufzustehen und Menschen zu werden, die das Leben dankbar empfangen und weitergeben. Menschen, die frei sind und die höchst sensibel mit der Freiheit und Unverfügbarkeit anderer umgehen.
Deshalb gibt es diese Nacht der Erinnerung, die nicht auf Angst setzt, sondern auf das Vertrauen der Zusage, dass Gott vom Anfang bis zum Ende und darüber hinaus den Menschen begleitet. Dieses Bild für das neue Leben wurde uns in der Taufe geschenkt und wird in jeder Osternacht erneuert und vertieft. Und als neue Menschen wollen wir leben, als neue Menschen, denen der Tod nichts anhaben kann, weil sie im Leben und im Sterben auf Jesus Christus geschaut haben und ihm nachgefolgt sind.
Frohe Ostern!
Amen.
- Wenn Sie die Predigten von Pfarrer Markus Schmidt von Palmsonntag bis Ostermontag lesen wollen, klicken Sie auf diesen Link, um das PDF zu öffnen.